„Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“, steht in der Verfassung Bayerns. Es ist keine neue Idee, die 1946 dort mit aufgenommen wurde, aber in der heutigen Wirtschaftswelt wirkt sie leider fast revolutionär.
“Unser jetziges Wirtschaftssystem steht auf dem Kopf. Das Geld ist zum Selbst-Zweck geworden, statt ein Mittel zu sein für das, was wirklich zählt: ein gutes Leben für alle.” schreibt Christian Felber. Der Wiener hat die Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) nach der Weltfinanzkrise 2008 mitinitiiert und hat 2010 das Buch “Gemeinwohl-Ökonomie” geschrieben. Im Februar 2021 kam es zum ersten Mal auf die SPIEGEL-Bestsellerliste - in Krisen entsteht der Wunsch nach neuen Visionen.
Nachdem wir 2019 von der Bewegung erfuhren, sind wir Mitglied geworden. Die GWÖ-Idee, Mensch und Umwelt in den Mittelpunkt des wirtschaftlichen Handelns zu stellen, entspricht dem Leitgedanken, aus dem Rosy und Patrick Rosy Green Wool gegründet haben. Während wir uns anfänglich auf Tierwohl und biologische Produktion konzentriert haben, geht die GWÖ weiter und fördert ethisches Handeln gegenüber allen Berührungsgruppen eines Unternehmens. Für uns ist das ein guter Leitfaden für die Weiterentwicklung von Rosy Green Wool.
Unsere Vorbilder sind dabei Menschen wie Antje von Dewitz, die den Outdoor-Ausstatter VAUDE nach der Übernahme von ihrem Vater konsequent auf die GWÖ-Werte ausgerichtet hat. In ihrem empfehlenswerten Buch “Mut steht uns gut!” berichtet sie darüber. Auch der Tofu-Hersteller Taifun ist ein Unternehmen, dessen Gemeinwohl-Ausrichtung uns beeindruckt.
“Die Gemeinwohl-Ökonomie ist der Aufbruch zu einer ethischen Marktwirtschaft, deren Ziel nicht die Vermehrung von Geldkapital ist, sondern das gute Leben für alle. Sie setzt die Menschenwürde, die Menschenrechte und die ökologische Verantwortung als Gemeinwohlwerte auch in der Wirtschaft um. Wie diese Werte im unternehmerischen Alltag gelebt werden können, zeigt die Gemeinwohl-Matrix. Sie wird laufend weiterentwickelt und soll demokratisch entschieden werden. Anhand der Matrix erstellen die Unternehmen eine Gemeinwohl-Bilanz. Im Gemeinwohl-Bericht erklären sie die Umsetzung der Gemeinwohlwerte sowie ihr Entwicklungspotential und nehmen eine Bewertung vor. Bericht und Bilanz werden extern überprüft und veröffentlicht. Damit werden die Leistungen für das Gemeinwohl bekannt gemacht.” Dies sind die ersten von 10 Punkten, die wir als Unterstützer der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ) unterschrieben haben, als wir 2019 Mitglied wurden.
Die Gemeinwohl-Matrix listet Berührungsgruppen für Unternehmen auf: LieferantInnen, EigentümerInnen, FinanzpartnerInnen, Mitarbeitende, KundInnen, Mitunternehmen und das gesellschaftliche Umfeld. Berührungen mit diesen werden im Hinblick auf die Werte Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Transparenz und Mitentscheidung betrachtet.
Daraus ergeben sich 20 Themenbereiche, die beschrieben und bewertet werden. Für jeden Bereich gibt es Punkte - die bei gemeinwohlschädigendem Verhalten auch negativ sein können. So ergeben sich -3600 bis +1000 Punkte in Summe, wobei 0 Punkte jeweils für den Mindeststandard gegeben werden, der gesetzlich vorgegeben oder üblich ist. Die Gewichtung der einzelnen Felder kann dabei für Unternehmen unterschiedlich sein, je nach Größe, Finanzströmen, sozialen Risiken und Branche.
Unsere erste Gemeinwohl-Bilanz für den Zeitraum 2019/20 hat insgesamt 548 Punkte bekommen:
Die Bewertung erfolgt in der Regel durch einen unabhängigen Auditor. Für die erste Bilanz gibt es jedoch eine Ausnahme: UnternehmerInnen können sich in einer Peer-Group zusammenschließen und von einer zertifizierten Gemeinwohl-BeraterIn begleitet gegenseitig evaluieren. Bei uns hat Patrick über den Zeitraum von 9 Monaten an 50 Stunden Videokonferenzen in der Gruppe teilgenommen und zusätzlich den 40-seitigen Bericht geschrieben. In der Peer-Group waren sechs Unternehmen, darunter ein Steinmetzbetrieb, ein HNO-Arzt und eine solidarische Landwirtschaft.
Die intensive Auseinandersetzung mit den Fragen der GWÖ-Matrix und den Ansätzen der anderen Unternehmen in der Peer-Group war mindestens genauso wichtig wie das Schreiben der Bilanz. Es war eine Lerngruppe im besten Sinne.
Dabei standen die konkreten Punkte für uns nicht im Mittelpunkt. Für uns ist der Gemeinwohl-Bericht vor allem auch eine Bestandsaufnahme, die es uns ermöglicht, für die Zukunft noch besser den Fokus zu setzen. Und im Peer-Prozess haben wir gute Anregungen zu Verbesserungen bekommen.
Hier gibt es den kompletten 40-seitigen Bericht als PDF zum Download.
Einige wesentliche Punkte daraus nach Berührungsgruppen:
LieferantInnen
75% unseres Einkaufsvolumens geht an Betriebe, die entweder GOTS-zertifiziert sind oder durch unsere GOTS-Audits mit kontrolliert werden. Dadurch werden ökologische Aspekte und Arbeitsbedingungen unabhängig untersucht und wir sind in diesem Bereich wesentlich besser als gesetzlich gefordert.
Und unsere langfristigen Partnerschaften mit kleinen Unternehmen und Selbständigen sind wichtige Aspekte.
EigentümerInnen und FinanzpartnerInnen
Rosy und Patrick sind alleinige Eigentümer und Geldgeber, womit Rosy Green Wool unabhängig agieren kann. Gewinne konnten wir reinvestieren, um alle Zukunftsausgaben zu decken. Ohne eigene Produktion im Haus gab es aber keine Möglichkeit der sozial-ökologischen Investition in Anlagen. Im Bereich Eigentum und Mitentscheidung haben wir keine Punkte bekommen, da wir derzeit als typisches kleines Familienunternehmen agieren und Mitarbeitende nicht beteiligt sind.
Mitarbeitende
Mit zwei Mitarbeiterinnen in Teilzeit sind wir ein kleines Unternehmen, das z.B. bisher kein Fortbildungsangebot und keine systematische Mitentscheidungskultur hat. Andererseits sind wir flexibler als die meisten in Bezug auf Arbeitszeit und -ort und der Gehaltsunterschied zwischen Mitarbeiterinnen und InhaberInnen ist gering.
KundInnen und Mitunternehmen
Wollgeschäfte können bei uns ohne Mindestmengen einkaufen und wir versuchen, sie zu unterstützen, wo wir können. In der Corona-Krise haben wir 30% unserer Online-Shop-Umsätze während der Lockdowns an sie abgegeben. Wir kooperieren mit Mitunternehmen und empfehlen uns gegenseitig PartnerInnen und Mitarbeitende. Unser Marketingbudget geht größtenteils an freie Mitarbeitende, die Strickmuster designen und veröffentlichen.
Gesellschaftliches Umfeld
Stricken trägt zur Erholung und Gesundheit bei und zusammen mit unserer ökologischen Ausrichtung haben wir positive Auswirkungen auf mehrere UN-Nachhaltigkeitsziele. Durch Steuern und Spenden tragen wir zum Gemeinwesen bei. Mindestens 10% der Einnahmen spenden wir effektiv und evidenzbasiert, womit wir in diesem Bereich mit 100% der Punkte bewertet wurden. Durch die Veröffentlichung des Gemeinwohl-Berichts wollen wir transparenter werden und auch andere Unternehmen dazu anregen, diesen Weg zu gehen.
In 2023 werden wir unseren nächsten Gemeinwohlbericht erstellen. Bis dahin beschäftigen wir uns damit, wo wir besser werden können, ohne die bisherigen Erfolge zu vernachlässigen. Die Ausrichtung auf das Gemeinwohl ist eine Haltung und ein ständiger Prozess, und so kann ein Bericht immer nur eine Momentaufnahme sein.